Konkrete Kunst: „Das ist eine ganz und gar unelitäre
Kunst“, sagt Holger Kube Ventura, der das „Kunst-museum
Reutlingen / konkret“ leitet: „Meist sind ganz
einfache, oft mathematisch geordnete Elemente zu
sehen – Linien, Flächen und Formen –, die man sich
leicht selbst erschließen kann, ohne etwas über den
Künstler wissen zu müssen.“
Es sind systematische Arbeiten, für die sich der jewei-lige
Künstler vorher ein Konzept überlegt, bevor er sie
umsetzt – so wie Hartmut Böhm etwa: Er verwendet
jeweils acht genormte Doppel-T-Formstahlträger und
legt sie im rechten Winkel auf dem Boden aneinander.
Weil die eine Hälfte der Träger auf der Belastungsseite
liegt und die andere gekippt ist, entstehen an den
frei gebliebenen Trägern Maßverhältnisse von klarer,
mathematischer Schönheit.
Eine andere Künstlerin, Vera Molnar, klebt den Buch-staben
M unzählige Male in Reihen hintereinander, bis
ein großes Quadrat entsteht. An welcher Stelle das M
aufrecht steht, auf einer Seite liegt oder Kopf steht,
folgt einem Code, der von Bild zu Bild komplizierter
wird. Und je vielfältiger die daraus entstehenden Mus-ter
sind, desto komplexere Botschaften könnten mit den
„Dieser Kunst liegt immer ein durchdachtes System zu-grunde“,
erklärt Kübler. „Sie könnten da als Künstler
jetzt nicht einfach einen roten Punkt dazwischenmalen,
weil es Ihnen vielleicht gerade gefällt.“ Von zahlreichen
Künstlern haben Wandel und Kübler über die Jahre hin-weg
unzählige Arbeiten erworben. Von Morellet besit-zen
sie die weltweit größte Sammlung, auch Dadamai-no,
Christian Wulffen und Bernard Aubertin gehören zu
den renommierten Namen. „Die Sammlung in den
Wandel-Hallen
zählt zu den wichtigsten in Europa“,
meint Kube Ventura. Und der Autor und Kunsthändler
Florian Illies bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: „Auf
dem Gebiet der konkreten Kunst ist Reutlingen stiller
Weltmarktführer.“
Reutlingen 25 Wo Kultur Stadt findet
M-Reihen codiert worden sein.
„Gegenstände für den geistigen Gebrauch“ nennen sol-che
Künstler ihre Werke. „Es geht dabei um
elementare Wahrnehmungssituationen, über die man
mit jedem Menschen sprechen kann, ganz egal
aus welchem Kulturkreis“, sagt die promovierte
Kunst his to rikerin Gabriele Kübler. Sie hat in mehr
als drei Jahrzehnten gemeinsam mit ihrem Mann
Manfred Wandel die Basis dafür gelegt, dass
Reutlingen heute ein bekanntes Zen-trum dieser
Kunst ist: 1987 gründeten sie hier, in den Hallen der
ehemaligen Siebtuch- und Maschinen fabrik von
Wandels Vorfahren, gemeinsam die „Stiftung für
konkrete Kunst“.
„Vorschulkinder sind am besten“, spricht Gabriele
Kübler aus Erfahrung. „Die schauen ganz direkt.“ Jeder
Besucher der Stiftungsausstellung bekommt eine per-sönliche
Führung – und die hilft nicht nur zum Ver-ständnis,
sondern auch, um den besonderen Humor zu
erkennen, der in vielen, scheinbar zufällig zusammen-gestellten
Werken liegt.
Der Franzose François Morellet etwa hat für seine
„Zufallslinien“ Nummern aus dem Pariser Telefonbuch
ausgewählt. Die Ziffern ent sprechen bestimmten
Ab-ständen auf dem Rand eines Quadrats und werden
mit schwarzen Linien verbunden, die sich dann –
scheinbar wahllos – durchkreuzen. Einem anderen Bild
mit einer schwarzen Zickzack-Linie liegt die Zahl Pi
zugrunde: Die jeweils nächste Ziffer bestimmt den
Grad des Winkels, mit dem sich die Linie fortsetzt.
Die Wandel-Hallen sind
ein Leuchtturm der Kunst!
Hochkarätige Akteure bespielen
dieses Haus. Jeder für sich ist
schon sehr gut, aber gemein-sam
schafft das ganze Ensemble
eine Ausstrahlung,
die weit über
Reutlingen
hinausreicht.
Dafür lohnt es sich, von
überall her anzufahren.
Reinhold Maas, Galerist
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